PARADIES Hoffnung -Ein Film von Ulrich Seidl

5. April 2013 § Hinterlasse einen Kommentar

„Alle
 meine Stücke sind Tragödien … sie werden nur komisch,
weil sie unheimlich sind.“ (Ödön von Horvath)

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Ulrich Seidl hat seine urösterreichische Filmtrilogie PARADIES  „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“ genannt. Damit zitiert er bewusst den 1. Korintherbrief des Apostels Paulus über die christlichen Tugenden und natürlich Ödön von Horvath, dessen 1932 geschriebenes Theaterstück im Untertitel als „Kleiner Totentanz in 5 Akten“ bezeichnet wird.

Der 1952 in Wien geborene Seidl wuchs im niederösterreichischen Waldviertel in der kleinen Stadt Horn (ca. 6500 Einwohner) auf und sollte eigentlich Priester werden. Diese Umgebung und die streng religiöse Erziehung haben ihn und seine Filme geprägt. In PARADIES geht es um den biblischen Ort als Sehnsuchtsort und Klischee. Am 23. Januar erhielt Seidl den österreichischen Filmpreis 2013 in den Kategorien bester Film und beste Regie für PARADIES Liebe.

Rezession und Arbeitslosigkeit wie bei Horvath sind im dritten Seidl-Film mit dem Titel „Hoffnung“ nicht die prominenten Zeichen der Zeit.  Melli wohnt mit ihrer Mutter in einem kleinen Einfamilienhäuschen – die Mutter fliegt zu Beginn des Filmes nach Kenia in Urlaub (siehe Teil 2 „Liebe“), es herrscht keine finanzielle Not. Dafür ist die innere Einsamkeit der Figuren umso größer. Melli verbringt die Sommerferien in einem Diätcamp, wo übergewichtige Kinder und Jugendliche wieder in Form gebracht werden sollen. Diese Tage, vielleicht Wochen im Camp werden von Seidl im Film beobachtet. Sport und körperliche „Ertüchtigung“ wechseln ab mit Theoriestunden zur Ernährungslehre und ärztlichen Untersuchungen. Dabei ist das Problem der Camp-Teilnehmer vor allem in ihrer emotionalen Entwurzelung zu finden. In den Gesprächen der Jugendlichen untereinander wird immer wieder deutlich, dass Essen als Liebesersatz dient und Eltern oder liebevolle Bezugspersonen fehlen. Für Melli bietet sich der Camp-Arzt als Projektionsfläche an. Die Dreizehnjährige, die noch keinerlei sexuelle Erfahrungen hat und hilflos in ihrer tumben Familie nach Halt sucht, schwärmt für den smarten Mitt-Fünfziger, der durchaus empfänglich für die koketten Avancen der jungen Mädchen ist. Seidls Film macht lange den Eindruck eines netten Schmunzelfilms – ähnlich wie bei Horvath, schleicht sich das Grauen durch die Hintertür. Als Zuschauer beobachtet man die Mädchen und Jungen scheinbar objektiv. Seidl und seine Frau, die Koautorin Veronika Franz arbeiten nicht mit einem fixen Drehbuch, sondern geben den Schauspielern ein sehr genaues Handlungsgerüst vor, dessen Dialoge dann allerdings oft frei improvisiert werden dürfen. Diese Vorgehensweise und die sehr lange Casting-Vorlaufzeit lassen das Ergebnis im Film leicht und fast dokumentarisch erscheinen. Nach fast einjähriger Suche fand Seidl in der jungen Melanie Lenz eine anrührende und voll authentische Darstellerin –  die anderen Mädchen und Jungen sind ebenfalls total präsent. Joseph Lorenz als Arzt, Michael Thomas als Sporttrainer und Vivian Bartsch als Ernährungsberaterin spielen bereits seit vielen Jahren mehr oder weniger professionell in Theater und Film. Lorenz war übrigens von 1989 bis 1991 am Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert.

Was macht nun die Besonderheit dieses dritten und letzten Teiles der Paradies-Trilogie aus? Auffällig ist die für Seidl geradezu zärtliche Betrachtung der Jugendlichen. In ihrer liebevollen Beobachtung liegt die Stärke des Films. Daher wird trotz aller Realitätsnähe nie der Horrorfaktor von „Hundstagen“ erreicht. Wie der Titel des Filmes schon suggeriert, bleibt beim Zuschauer der Rest Hoffnung übrig, der in den vorangegangenen Filmen Seidls meist nicht mehr vorhanden ist. Problematisch bleibt dies in der Darstellung des Arztes, der wie alle Personen in seiner doch eindeutig pädophilen Einsamkeit eher sympathisch bleibt. Das Verhältnis zu ihm bleibt zu lange unklar. Es kippt in dem Moment, wo er Melli bei einem Badeausflug in den Wald folgt und später, als er sie nach einem Besäufnis mit ihrer Freundin Verena in der Dorfkneipe abholt, die komatös Betrunkene in den Wald fährt und wie ein Tier abschnuppert. In Interviews mit der Presse erläutert Seidl mehrfach den Lolita/Nabokov-Aspekt, der ihm thematisch vorschwebte. In dieser Hinsicht bleibt der Film eher unentschieden, was nicht so ganz zu Seidls sonstiger Radikalität passt.  Der Arzt, der Fitnesstrainer, der die Kinder ganztags militärisch drillt und die schlanke schicke Ernährungsberaterin – sie alle scheinen sich mit ihrer Einsamkeit abgefunden zu haben, sie nicht mehr in Frage zu stellen. Es gibt keinen Dialog zwischen ihnen, jeder hat seinen Weg gefunden, den psychischen Druck nach unten weiterzugeben.

Seidl ist ein extrem genauer Beobachter und das macht die Faszination seiner Filme aus. Seine scheinbare Nicht-Parteinahme lässt genug Spielraum für die eigenen Assoziationen beim Zuschauer, nicht ohne letztlich den Blick auf die traurige Realität zu fokussieren.

PARADIES HOFFNUNG

Spielfilm Österreich/Frankreich/Deutschland 2012

Regie: Ulrich Seidl

91 Minuten

Kinostart: 16. Mai 2013

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