Evolution der Feuerstoijns – Tolstoi / Baumgartens phantastische „Macht der Finsternis“ am Düsseldorfer Schauspielhaus

25. November 2012 § Hinterlasse einen Kommentar

Als Regisseur Sebastian Baumgarten nach etwas über 2 Stunden Spielzeit zum Schlussapplaus die Bühne betritt, erhebt sich ein Murren und Raunen, leises Gebuhe, das aber untentschlossen bleibt. Was fehlte denn? Baumgarten hat ein mediales und schauspielerisches Bühnengewitter gezündet. Selten sieht man das Ensemble so überragend zusammenspielen, selten sieht man so eine intensive Leistung jedes Einzelnen. „Die Macht der Finsternis“ ist eines der wenigen Theaterstücke des großen russischen Dichters Leo Tolstoi. Geschrieben 1886 ist es eine Abrechnung mit der verlogenen schein- und kleingläubigen russischen Gesellschaft. Die fünf Szenen zeigen den Aufstieg und Fall eines großen russischen Bauernhofes, wo es zugeht wie bei Dallas oder Bert Wollersheim, dem Puffkönig von Düsseldorfs Rethelstraße. Der Bauer Pjotr ist krank und überlässt seinem Knecht Nikita das Feld. Dieser ist ein geldgieriger, geiler Dummkopf, der sich Frauen und Macht nimmt, wo er sie kriegen kann. Nun, die Frauen am Hof sind kein Iota besser. Pjotrs zweite Frau Anisjia vergiftet ihren Mann mit Hilfe von Nikitas Mutter Matrjona und heiratet deren Sohn, der sich damit nach oben katapultiert. Nikita wiederum hatte bereits zuvor eine Liaison mit der Waise Marina, aus der ein uneheliches Kind hervorging. Daher möchte sein Vater Akim ihn auch mit Marina verheiraten, was die anderen Frauen erfolgreich zu verhindern wissen. Nikita treibt es aber auch mit der debilen Tochter aus erster Ehe des Bauern, Akulina, die schließlich auch ein Kind von ihm erwartet, aber noch verheiratet werden soll. Das Kind wird nach der Geburt unter Mithilfe der halben Familie umgebracht und im Keller verscharrt. Nikita hält es schließlich nicht mehr aus und beichtet in einem Schluss-Monolog alle seine Sünden, was aber letztlich auch nichts mehr hilft. Gibt es überhaupt positive Figuren im Stück? Marina, die von Nikita rüde hinausgeworfen wurde, ist immerhin ein kleiner Lichtblick – sie hat direkt alles bereut, geheiratet und scheint ein gutes Leben zu führen. Xenia Noetzelmann tanzt als einzige modernere Figur traumwandlerisch zäh durch den Mist und Schlamm und Dreck des Dorfes, das sie verlassen hat. Anfangs fast eine Comicfigur in schwarzer Burka, schafft sie den Spagat zur wohlhabenden Städterin. Die Bauersfamilie am Hof dagegen, degeneriert immer mehr. Die Kostüme (Jana Findeklee/Joki Tewes) verdeutlichen dies fantastisch von Anfang bis Schluss. Während die Familienmitglieder zu Anfang noch den dichten Haarwuchs ihrer zotteligen (Affen-)Vorfahren tragen, lernen sie die Zivilisierung durch Geld und Macht äußerlich ganz gut. Einzig Nikita, (großartig Till Wonka als geldgeiler Kretin) bleibt seiner Zuhältermähne treu und läuft immer noch reichlich derangiert herum. Imogen Kogge brilliert als intrigante Matrone, die alle Fäden in der Hand hat. Rainer Galke als ihr Mann Akim ist ein stotternder Zauderer, der nichts Böses will, aber dumm wie die finsterste Nacht ist. Anisija, die nach dem Mord an ihrem Mann auch nicht mit dem geilen Knecht glücklich wird, sondern direkt abserviert wird, ist zierlich, zäh und kalt (Tanja Schleiff). Stefanie Reinsperger als Tochter Anjutka ist ein nerviges Riesenbaby, das nah am Wasser gebaut hat und Akulina, die zurückgebliebene Tochter aus erster Ehe wird grotesk blöde überzeichnet von Betty Freudenberg. Ihnen allen zuzusehen ist schon Spaß genug. Jeder bewegt sich in seiner Welt und ist sich selbst genug. Egoisten wohin man blickt. Dazu passt, dass auch jeder seinen Tick kultiviert, Sprachfehler, Grunzlaute, Bewegungsstörungen – es ist ein einziger Horrorhaufen versammelt. Das bunt leuchtende Bühnenbild von Thilo Reuther nutzt die große Bühne wo immer es geht. Videotechnik, Regen, Filmprojektionen werden lässig eingeflochten, ohne die Schauspieler an den Rand zu drängen. Also, was fehlte dem Publikum denn nun? Der Zeitbezug? Der lässt sich leicht herstellen, da braucht man nur RTL mit Daniela Katzenberger oder den Geissens einzuschalten. Gespielt wurde jedenfalls auf Teufel komm raus. Eigentlich wäre hier für die Regie und die Gesamtleistung einiges an Bravi fällig gewesen. Aber das Düsseldorfer Premierenpublikum ist schwer einzuschätzen. So richtig recht war das alles auch wieder nicht. Wer wollte, konnte zu später Stunde noch im Foyer mit Intendant, Regisseur und den Schauspielern ein eindrucksvolles Theaterspektakel feiern.

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